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„Fit for 55-Paket“ vorgestellt – Neuer Emissionshandel, CO2-neutrale Kraftfahrzeuge u. v. m.

Endlich ist es soweit: Das mit Spannung erwartete „Fit for 55-Paket“ wurde am Mittwoch von der EU-Kommission vorgelegt.

Mit dem „Fit for 55- Paket“ soll Europa dem von Ursula von der Leyen angekündigten „Mann auf dem Mond-Moment“ Europas näherkommen. Erreicht werden soll bis 2030 eine Reduktion der Treibhausgasemissionen um 55 Prozent gegenüber 1990. Das Programm sieht eine Reihe von neuen und verschärften Regelungen vor, die zur Dekarbonisierung Europas beitragen sollen.

Laut EU-Klimagesetz, welches im Juni dieses Jahres beschlossen wurde, soll Europa seine Treibhausgasemissionen bis 2030 um 55 Prozent netto mindern und bis 2050 treibhausgasneutral sein (wir berichteten). Um das 55-Prozent-Ziel für 2030 zu erreichen, werden im Rahmen des „European Green Deal“ bis Ende 2022 insgesamt 54 Gesetze und Verordnungen der EU überarbeitet. Ein Teil des Green Deals ist das „Fit-for-55-Paket“, mit dem zunächst einmal acht Gesetze verschärft und vier neue beschlossen werden sollen. Darunter sind die EU-Emissionshandelsrichtlinie, die EU-Erneuerbare-Energien-Richtlinie sowie die Verordnung zum CO2-Grenzausgleichsmechanismus (Carbon Border Adjustment Mechanism – CBAM).

Großes hat die Kommission insbesondere mit dem europaweiten Emissionshandel vor. Der Emissionshandel hat sich bislang als sehr effektiv zur Einsparung von CO2 erwiesen. Deshalb sollen die CO2-Reduktionsziele nun entsprechend angepasst werden: Mithilfe einer Reform des Treibhausgas-Emissionshandelssystems sollen bis 2030 61 Prozent CO2 im Vergleich zu 2005 eingespart werden. Bislang wurden etwa 20 Prozent weniger angestrebt. Hierzu soll die Menge an Zertifikaten, die jedes Jahr automatisch gelöscht werden (linearer Reduktionsfaktor), erhöht werden. Der lineare Reduktionsfaktor soll von derzeit 2,2 Prozent auf 4,2 Prozent steigen. Zudem soll es ein Jahr nach Inkrafttreten der neuen ETS-Richtlinie eine einmalige Reduktion der Zertifikate geben, mit der erreicht werden soll, dass nur noch so viele Zertifikate auf dem Markt sind, als wäre der neue lineare Reduktionsfaktor von 4,2 Prozent schon 2021 angewandt worden. Experten schätzen, dass die Preise für eine Tonne CO2 von derzeit 55 Euro auf weit über 80 Euro steigen dürften. Zudem sollen von 2026 bis 2035 freie Emissionszertifikate reduziert werden. Die maximale jährliche Senkungsrate (Benchmark) soll von heute 1,6 Prozent auf 2,5 Prozent erhöht werden. Spätestens 2036 soll Schluss mit kostenfreien Zertifikaten sein. Sektoren, die dem CO2-Grenzausgleichssystem (CBAM) unterliegen, sollen höchstens noch bis 2025 kostenfreie Zertifikate erhalten.

Ein zweites Emissionshandelssystem soll nach den Plänen der EU-Kommission für die Sektoren Gebäude und Verkehr geschaffen werden. Die Sektoren verursachen etwa 35 Prozent und 22 Prozent der Treibhausgase in der EU. Bis 2030 soll eine Emissionsminderung von insgesamt 43 Prozent im Vergleich zu 2005 erreicht werden. Die Pflicht zum Kauf der Emissionszertifikate soll für Inverkehrbringer von Kraft- und Heizstoffen ab 2026 gelten. Freie Zertifikate soll es nicht geben. Heiz- und Spritkosten werden demnach in absehbarer Zeit steigen, da die höheren Abgaben auf die Konsumenten abgewälzt werden dürften. Ziel ist es, durch den Preisanstieg Anreize für einen Wechsel hin zu klimaneutralen Pkws und Heizungen zu schaffen. Ob dieser Vorschlag auch im EU-Parlament und im Rat der Mitgliedstaaten auf Zustimmung stoßen wird, ist sehr fraglich. Der neue Emissionshandel würde sich unmittelbar auf das Portemonnaie der Bürger auswirken, weshalb mit Protesten zu rechnen ist. Mittel- und langfristig soll die Einführung des Emissionshandels für Transport und Gebäude die Kosten für Haushalte laut Kommission aber senken, denn das neue System reduziere die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen.

Die Bürger, Länder und Regionen Europas werden durch den CO2-Preis unterschiedlich stark getroffen, weshalb die Belastungen mithilfe eines Sozialfonds ausgeglichen werden sollen. In diesen sollen 20 Prozent der Einnahmen aus dem neuen Emissionshandel fließen. Die Mittel sollen eingesetzt werden, um ärmeren Haushalten die Renovierung von Gebäuden, die Installation von emissionsfreien Heizsystemen und die Nutzung klimafreundlicher Transportmittel zu ermöglichen. Zudem sollen die steigenden Kraftstoffpreise ausgeglichen werden. Die restlichen 80 Prozent der Einnahmen sollen direkt an die einzelnen Mitgliedstaaten gehen. Die EU-Kommission empfiehlt den Mitgliedstaaten, die Hälfte für die Dekarbonisierung auszugeben und mit der anderen Hälfte niedrigverdienende Haushalte zu unterstützen.

50 Millionen Zertifikate sollen in den Innovationsfonds der EU fließen, um gezielt Geld in die Dekarbonisierung von Gebäuden oder den Ausbau der Ladeinfrastruktur zu investieren. Der Ausbau der Ladeinfrastruktur ist auch dringend notwendig, denn Benzin- und Dieselautos stehen vor dem Aus. Laut Ursula von der Leyen hätten bereits viele Autohersteller aus eigener Initiative erklärt, zwischen 2028 und 2035 auf eine emissionsfreie Produktion umsteigen zu wollen. Dennoch solle im Sinne der Planungssicherheit ein zeitlicher Rahmen vorgegeben werden, bis zu dem alle Autos emissionsfrei sein müssten. Neben der Einführung des Emissionshandels sollen daher die Flottengrenzwerte für Autohersteller verschärft werden. Bislang galt das Ziel, die durchschnittlichen CO2-Emissionen der Neuwagenflotten in der EU bis 2030 um 37,5 Prozent zu senken. Im „Fit-for-55-Paket“ ist nunmehr eine Pflicht zur Verringerung des CO2-Ausstoßes bei Neuwagen bis 2030 um 55 Prozent im Vergleich zu heute vorgesehen. Derzeit darf ein Neuwagen im Durchschnitt nicht mehr als 95 Gramm pro gefahrenen Kilometer ausstoßen. Bis 2035 soll der Ausstoß um 100 Prozent sinken, was letztlich einem Verbot von Neuwagen mit Verbrennungsmotoren gleichkommt. Ein Elektroauto geht schon heute rechnerisch mit 0 Gramm CO2 in die Statistik ein.

Mithilfe der Verordnung über Infrastruktur für alternative Kraftstoffe soll die Wasserstoff- und Ladeinfrastruktur ausgebaut werden. An Schnellstraßen sollen bis 2025 alle 60 Kilometer Ladestationen stehen. Wasserstoff-Tankstellen soll es alle 150 Kilometer geben. Auch die Beimischungsquoten für klimaneutral hergestellte Biokraftstoffe und synthetische Kraftstoffe sollen steigen. Im Gespräch ist ein Anteil von bis zu 38 Prozent. Der Schiffsverkehr soll in Zukunft ebenfalls stärker einbezogen werden. Schiffen, die in EU-Häfen anlegen, soll etwa die Verwendung von klimafreundlicheren Treibstoffen vorgeschrieben werden.

Nach einer dreijährigen Übergangsphase soll es ab 2026 im Rahmen des seit längerem geplanten CO2-Grenzausgleichsmechanismusses (CBAM) eine Abgabepflicht für Unternehmen in Nicht-EU-Ländern geben, die Zement, Düngemittel und Strom oder Produkte aus Eisen, Stahl und Aluminium in die EU importieren. Für jede Tonne Kohlendioxid ist ein Klima-Zertifikat zu erwerben, dessen Preis sich am europäischen Emissionshandel orientiert. Betroffen sind alle Drittstaaten bis auf Island, Norwegen, Liechtenstein und die Schweiz. Beim Export in Drittstaaten sollen Unternehmen aus der EU eine Entlastung bekommen. Um nicht in Konflikt mit den Regeln der Welthandelsorganisation WTO zu geraten, dürfte die EU keine kostenlosen CO2-Zertifikate mehr an die betroffenen Branchen verteilen. Dennoch dürfte das CBAM laut Experten nur schwer mit den Regeln der WTO in Einklang zu bringen sein und könnte die EU-Handelsbeziehungen belasten. Insbesondere in China, Russland, der Türkei, Indien und der Ukraine haben die geplanten Maßnahmen bereits starken Protest ausgelöst.

Auch in Zukunft soll es für die EU-Länder verbindliche Einsparziele für jene Wirtschaftssektoren geben, die nicht vom Emissionshandel erfasst werden. Der Gebäude- und Verkehrssektor soll trotz der Schaffung des neuen Emissionshandelssystems in der sog. Lastenteilung verbleiben. Insgesamt soll bis 2030 eine Emissionsminderung von 40 Prozent, statt wie derzeit noch 30 Prozent im Vergleich zu 2005 erreicht werden. Die CO2-Reduktionslast soll sich weiterhin am Bruttoinlandsprodukt der Mitgliedstaaten orientieren. Deutschland muss seine Emissionseinsparungen demzufolge von derzeit 38 auf 50 Prozent erhöhen. Die neuen Ziele sollen ab 2023 verbindlich werden, wobei eine erneute Anpassung bereits 2025 erfolgen könnte.

Reformiert werden soll auch die Erneuerbare-Energien-Richtlinie (RED III). Der Ökostromanteil am Energieverbrauch soll von derzeit 19 Prozent auf 40 Prozent steigen. Die Zielvorgabe ist allerdings unverbindlich und gilt für Europa insgesamt, also nicht für die einzelnen Staaten. Staaten, die einen Ökostromanteil von über 40 Prozent erreichen, können sich dies von anderen Staaten, die unter der 40-Prozent-Marke liegen, bezahlen lassen. Die EU-Nachhaltigkeitskriterien für Bioenergie sollen weiter verschärft werden.

Mit einer neuen Energieeffizienz-Richtlinie sollen den Mitgliedstaaten verbindliche jährliche Ziele für die Einsparung von Energie gesetzt werden. Energieeinsparung soll künftig als „eigenständige Energiequelle“ mit hoher Priorität („Energy Efficiency first“) behandelt werden.

Mit der Überarbeitung der Energiesteuerrichtlinie sollen intensive fossile Energieträger ab 2023 höher und grüner Strom sowie strombasierte Kraftstoffe geringer besteuert werden. Vorgesehen ist eine Art „Steuer-Ranking“ von Energieträgern nach Energiegehalt und positiver Umweltleistung. Im Bereich der Luftfahrt sollen zunächst nur innereuropäische Flüge höher besteuert werden. Ob es tatsächlich zu der Einführung einer sog. „Kerosinsteuer“ kommt, ist fraglich, denn der Rat muss die Einführung von Steuern einstimmig beschließen.

In der LULUCF-Verordnung soll geregelt werden, dass bis 2030 europaweit 310 Millionen Tonnen CO2 mithilfe von natürlichen Senken abgebaut werden sollen. Für den Zeitraum von 2026 bis 2030 sollen für die Mitgliedstaaten verbindliche Ziele für den Netto-CO2-Abbau in der Landnutzung und der Forstwirtschaft festgesetzt werden.

Im September 2021 werden die Verhandlungen über die Vorschläge der Kommission beginnen. Bis das EU-Parlament und der Rat der EU zustimmen, wird es vermutlich noch dauern. Letztlich ist ein gemeinsamer Kraftakt aller Mitgliedstaaten und der Gesellschaft notwendig, um Europa bis 2050 klimaneutral zu gestalten.