Kabinett beschließt Novelle des Energiesicherungsgesetzes 1975 (EnSiG)
Das EnSiG wird novelliert. Die bisherigen Entwürfe sehen weitreichende Möglichkeiten für hoheitliche Eingriffe in den Markt zur Sicherung der Energieversorgung vor.
Das Bundeskabinett hat am 25.04.2022 im schriftlichen Umlaufverfahren die Novelle des Energiesicherungsgesetzes aus dem Jahr 1975 beschlossen. Dies gab das BMWK zunächst in einer Pressemitteilung zusammen mit einer „Formulierungshilfe“ bekannt. Mittlerweile gibt es einen ersten formellen Gesetzesentwurf, den die Fraktionen der Regierungskoalition in den Bundestag eingebracht haben (BT-Drs. 20/1501).
Zum Hintergrund
Das Energiesicherungsgesetz stammt in seiner aktuell gültigen Fassung von 1975. Es wurde seinerzeit als Reaktion auf die Ölkrise geschaffen und ist seither praktisch unverändert. Es enthält Ermächtigungen für den Staat, in einer (zivilen) Krisensituation für die Energieversorgung (Strom, Erdgas, Öl, Kohle) Maßnahmen zur Deckung des lebenswichtigen Bedarfs an Energie zu ergreifen, u.a. durch Rechtsverordnungen. Die GasSV, welche die Grundlage für die Sicherung der Erdgasversorgung darstellt, ist eine dieser Verordnungen.
Geplante Neuregelungen
Für die energieintensive Industrie dürften zwei Neuerungen besonders spannend sein:
Sicherheitsplattform Gas
Zum einen enthält der Entwurf die Rechtsgrundlage zur Errichtung einer (Online-) Plattform für die Umsetzung von Krisenmaßnahmen zur Energieversorgungssicherheit („Digitale Plattform für Erdgas“, vgl. § 2b EnSiG-E). Dabei handelt es sich um die sog. Sicherheitsplattform Gas, die ab dem 1. Oktober 2022 ihren Betrieb aufnehmen soll. Bereitgestellt werden soll sie vom Marktgebietsverantwortlichen (THE).
Damit das möglich ist, werden Registrierungs-, Auskunfts- und Meldepflichten erheblich ausgeweitet. So sollen neben Gashändlern und Netzbetreibern u.a. industrielle und gewerbliche Erdgaskunden mit einer technischen Anschlusskapazität von mindestens 10 MW/h als Endverbraucher verpflichtet werden, sich binnen Monatsfrist (ab Bereitstellung der Plattform) dort zu registrieren sowie unverzüglich alle für die Sicherstellung der Energieversorgung erforderlichen Daten zu hinterlegen und aktuell zu halten (§ 1a GasSV-E). Dies dient dem Zweck, auf Basis dieser Daten im Krisenfall identifizieren zu können, welche Reduzierungspotentiale bestehen und wo ggf. Abschaltungen erfolgen sollen.
Um schon vorher handlungsfähig zu sein und im Ernstfall eine informierte Entscheidung treffen zu können, hat die BNetzA bereits jetzt eine entsprechende Datenabfrage bei den betroffenen Endverbrauchern zwischen 2. – 15. Mai 2022 angekündigt. Weitere Informationen hierzu finden Sie hier RGC berichtete und auf der Internetseite der BNetzA.
Gesetzliches Preisanpassungsrecht
Der Gesetzesentwurf sieht für Energieversorgungsunternehmen durch die gesamte Lieferkette hinweg ein einseitiges Preisanpassungsrecht auf ein „angemessenes Niveau“ (§ 24 EnSiG-E) vor, wenn
- die Alarm- oder Notfallstufe ausgerufen wurde und
- die BNetzA eine „erhebliche Reduzierung der Gesamtgasimportmengen nach Deutschland“ per Pressemitteilung festgestellt hat.
Die Preisanpassung ist dem Kunden „rechtzeitig vor ihrem Eintritt mitzuteilen“.
Der Kunde erhält dann ein Sonderkündigungsrecht. Dieses soll grundsätzlich „unverzüglich“ nach Zugang der Preisanpassungsmitteilung ausgeübt werden. Welche tatsächliche Handlungsalternative ein solches Sonderkündigungsrecht in einer Energiepreiskrise, in der wir uns bereits jetzt befinden, und der dann ja hinzutretenden Energiemangellage mit Gasknappheit sein kann, ist wohl stark zu hinterfragen.
Zweck der Regelung soll sein, „die Marktmechanismen und Lieferketten so lange wie möglich aufrechtzuerhalten und Kaskadeneffekte zu verhindern“. Gemeint sind damit insbesondere drohende Insolvenzen der betroffenen Energieversorgungsunternehmen und damit ein vollständiges Zusammenbrechen der Energieversorgung. Hier sehen wir gleichwohl deutlichen Nachschärfungsbedarf im Gesetzgebungsverfahren. Jedenfalls müssten aber die Mehrkosten bei der Industrie abgefedert werden. Zu den bisherigen Plänen der Bundesregierung hierzu haben wir hier berichtet.
Immerhin: Ist festgestellt, dass eine erhebliche Reduzierung der Gesamtgasimportmengen nach Deutschland nicht mehr vorliegt, erhält der Kunde das Recht auf „Vertragsanpassung“. Auch hier ist die Entwurfsfassung jedoch noch sehr unbestimmt und sollte nachgeschärft werden.
Weitere Regelungen
Auch darüber hinaus sieht der Entwurf weitreichende Instrumente vor, wie im Krisenfall in den Energiemarkt eingegriffen werden kann:
- Wenn Betreiber kritischer Infrastrukturen bzw. Energieversorger ihren Aufgaben nicht mehr nachkommen, sollen sie unter (temporäre) Treuhandverwaltung gestellt werden können, vgl. § 17 EnSiG-E. Als letzte Möglichkeit ist zudem auch eine (dauerhafte) Enteignungsmöglichkeit vorgesehen, § 18-21 EnSiG-E.
- Es sollen sog. „Solidaritätsmechanismen“ aus der SOS-VO gestärkt werden. Dabei handelt es sich um Regelungen für den Fall, dass ein anderer Mitgliedsstaat Deutschland nach den Vorgaben der EU-SoS-Verordnung um Unterstützung ersucht. Hier kann Deutschland dann – sollte es keine andere (marktliche) Möglichkeit geben – bestimmte Gaslieferungen organisieren bzw. authorisieren.
- Im EnWG werden kleinere Änderungen vorgesehen, welche ebenfalls die Stärkung der Krisenvorsorge vorsehen. Im Hinblick auf kritische Energie-Infrastrukturen soll der Einsatz sogenannter kritischer Komponenten untersagt werden können, wenn sonst die öffentliche Ordnung oder Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland voraussichtlich beeinträchtigt wäre, z.B. bei Kontrolle durch die Regierung eines Drittstaates. Geplante Stilllegungen von Gasspeicheranlagen müssen künftig vorab angezeigt und von der BNetzA genehmigt werden.
- Vorab diskutierte Regelungen, die Kündigungen von Energieversorgungsverträgen bei Zahlungsschwierigkeiten erst bei Genehmigung durch die BNetzA wirksam werden lassen sollten und eine Weiterbelieferungspflicht im Insolvenzfall vorsahen, sind nicht in den aktuellen Entwurf übernommen worden.
Weitere Einzelheiten können den FAQ des BMWK zur EnSiG-Novelle entnommen werden.
Autoren: Dr. Franziska Lietz
Yvonne Hanke