Windenergieanlagen zukünftig auch in Waldgebieten – Bundesverfassungsgericht erklärt Thüringer Windenergieanlagen-Verbot für verfassungswidrig
Beschluss vom 27.09.2022, Az.: 1 BvR 2661/21
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat entschieden, dass § 10 Abs. 1 S. 2 des Thüringer Waldgesetzes (ThürWaldG), der Windenergieanlagen in Waldgebieten ausnahmslos verbietet, mit dem Grundgesetz (GG) unvereinbar und daher nichtig ist.
Relevanz: Das BVerfG befasst sich in seinem Beschluss mit der verfassungsgemäßen Vereinbarkeit eines generellen Windrad-Verbotes in Wäldern.
Hintergrund: Die im Dezember 2020 geänderte Regelung in § 10 Abs. 1 S. 2 ThürWaldG verbietet ausnahmslos die Änderung der Nutzungsart von Waldgebieten zur Errichtung von Windenergieanlagen. Gegen diese Regelung hatten private Waldbesitzer:innen Verfassungsbeschwerde erhoben, da sie in dem Verbot einen ungerechtfertigten Eingriff in das von Art. 14 Abs. 1 GG geschützte Eigentumsrecht sahen.
Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass § 10 Abs. 1 S. 2 ThüWaldG aufgrund fehlender Gesetzgebungskompetenz des Freistaats Thüringen formell verfassungswidrig ist und somit ein ungerechtfertigter Eingriff in das Eigentumsrecht vorliegt. Aus folgenden Gründen:
Eine Gesetzgebungszuständigkeit für das Waldrecht als eigene Rechtsmaterie regelt das GG nicht.
- Das Verbot aus dem ThüWaldG ist dem Bodenrecht zuzuordnen, da es die rechtlichen Beziehungen des Menschen zum Grund und Boden regelt und nicht auf spezifische Natur- und Landschaftsschutzbelange abzielt.
- Für das Bodenrecht besteht nach dem GG sowohl eine Gesetzgebungskompetenz des Bundes, als auch der Länder (Art. 74 Abs. 1 Nr. 18 GG). Im Baugesetzbuch hat der Bund die bauplanungsrechtliche Privilegierung von Windenergieanlagen im Außenbereich festgelegt (§ 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB). Dadurch hat der Bund von seiner Kompetenz in Bezug auf das Bodenrecht Gebrauch gemacht, sodass in dieser Hinsicht kein Raum mehr für eine landesrechtliche Regelung bleibt (sog. Sperrwirkung).
- Vorhaben zur Windenergienutzung sind aufgrund der Regelung im BauGB nach dem Willen des Bundesgesetzgebers insofern gegenüber anderen Vorhaben bevorzugt. Dies komme laut dem BVerfG durch die Neuregelung in § 2 EEG verstärkt zum Ausdruck, wonach die Errichtung und der Betrieb von EE-Anlagen im überragenden öffentlichen Interesse liegen.
- Zudem leistet der Ausbau der Nutzung der Windkraft einen faktisch unverzichtbaren Beitrag zu der verfassungsrechtlich durch Art. 20a GG und durch grundrechtliche Schutzpflichten gebotenen Begrenzung des Klimawandels. Um das Klimaschutzziel zu wahren, müssen erhebliche weitere Anstrengungen der Treibhausgasreduktion unternommen werden, wozu insbesondere der Ausbau der Windkraftnutzung zählt.
Mit diesem Beschluss setzt das BVerfG ein weiteres deutliches Zeichen im Kontext des Klimaschutzzieles und führt die Rechtsprechung zum sog. Klimabeschluss aus dem Jahr 2021 (RGC berichtete) fort. Die Ansicht des BVerfG dürfte den Konflikt beim Bau von Windenergieanlagen in Wäldern juristisch entschärfen und relevant für solche Bundesländer sein, die ein ähnliches Pauschalverbot planen oder bereits umgesetzt haben.
Autorinnen: Jacqueline Rothkopf
Pia Weber