#RGCfragtnach: Daniel Wuhrmann, Reuschlaw, zu den Risiken von (Preis-)Nachverhandlungen in der Lieferkette

Aufgrund des drohenden Gasmangels prüfen aktuell viele Unternehmen, ihre Verträge mit Ihren Kunden nachzuverhandeln. Dr. Franziska Lietz spricht mit Rechtsanwalt Daniel Wuhrmann von Reuschlaw, Berlin, über Risiken, die damit einhergehen können.

Lietz, RGC: Sehr geehrter Herr Wuhrmann, Sie sind Rechtsanwalt in der Kanzlei Reuschlaw und beraten schwerpunktmäßig unter anderem zur Vertragsgestaltung in industriellen Lieferketten. Die Zusammenhänge in Lieferketten sind für unsere Mandaten aktuell vor allem im Zusammenhang mit einer drohenden Gasmangellage relevant. Welche Bedeutung hat diese Situation für das Lieferketten-Vertragsrecht?

Wuhrmann, Reuschlaw: Die gestiegenen Energie- und Rohstoffpreise bringen viele Akteure in der Lieferkette in Bedrängnis und führen dazu, dass Zulieferer die gestiegenen Kosten mittels (Preis-)Anpassungen an die Kunden weitergeben wollen. Dazu fordern Zulieferer ihre (zumeist OEM- oder Tier-1-)Kunden zu Vertragsnachverhandlungen auf. Solche Nachverhandlungen sind mit Risiken verbunden, insbesondere wenn die Lieferanten im gleichen Zuge ankündigen, dass sie auf Liefer- oder Einkaufsschwierigkeiten zusteuern oder ihre Liquidität bedroht ist.


Lietz: Welche Risken sind das genau?


Wuhrmann:
Wenn Lieferanten ein Anpassungsbedürfnis kommunizieren und dies in Zusammenhang mit einem (möglichen) Lieferstopp stellen, sehen Gerichte darin zum Teil eine (konkludente) Drohung mit der Einstellung der Lieferungen. Tritt in einer solchen Situation eine gewisse Kurzfristigkeit hinzu, d.h., steht ein vermeintlicher Lieferstopp beispielsweise nur wenige Wochen bevor, verschärft sich das oben beschriebene Risiko enorm. Denn beantragt der Kunde den Erlass einer einstweiligen Verfügung, so können Gerichte im Eilverfahren einen Beschluss erlassen, der den Zulieferer verpflichtet, seinen Kunden (vertragsgemäß) zu beliefern und für Fälle der Nichterfüllung empfindliche Strafzahlungen anordnen. Teilweise zeigen Verfahren in letzter Zeit „interessante“ Entwicklungen: Die Zulieferer werden nicht angehört und ohne deren Ansicht entschieden, zudem werden auch Aussagen über Probleme im cashflow für den Materialeinkauf als ausreichende Drohung eines (unerlaubten) Lieferstopps angesehen.

Lietz: Das ist eine überraschend weitreichende Auffassung der Gerichte. Was können Unternehmen tun, gegen die eine solche einstweilige Verfügung dann in der Welt ist?

Wuhrmann: Gegen einstweilige Verfügungen kann grundsätzlich der Rechtsbehelf des Widerspruchs eingelegt werden. Dennoch sollten Unternehmen dieses Risiko nicht auf die leichte Schulter nehmen. Denn mit einem solchen Beschluss ist ein vollstreckbarer Titel in der Welt, der darüber hinaus die weiteren Vertragsverhandlungen blockieren kann – auf die der Zulieferer oftmals einen vertraglichen Anspruch hat und letztlich angewiesen ist.

Darüber hinaus besteht die Gefahr, dass Gerichte in einem einstweiligen Verfügungsverfahren den betroffenen Zulieferer nicht anhören und dieser von dem Verfahren erst erfährt, nachdem ihm der Beschluss (der vollstreckbare Titel) zugestellt wird. Dies geschieht teilweise, obwohl das BVerfG klargestellt hat, dass nur in Ausnahmefällen von einer Anhörung abzusehen ist. Solche Konstellationen wird man nur annehmen können, wenn konkrete Anhaltspunkte für eine unmittelbar bevorstehende Einstellung der Lieferung vorliegen und nachweislich hohe Schäden drohen. Allerdings besteht gerade wegen der fehlenden Anhörung das Risiko, dass das Gericht aufgrund eines unzutreffend dargelegten Sachverhalts durch den Antragsteller vorschnell einen Ausnahmefall annimmt. Diese muss man dann im Widerspruchsverfahren wieder einfangen.


Lietz: Gibt es für Unternehmen Möglichkeiten, sich bereits im Vorhinein gegen dieses Risiko, ohne Anhörung eine einstweilige Verfügung zu erhalten, absichern können?


Wuhrmann:
Zwar kann im einstweiligen Verfügungsverfahren ein Widerspruch gegen einen solchen Beschluss eingelegt werden. Ein Widerspruch ist allerdings, auch wenn das einstweilige Verfügungsverfahren beschleunigt vonstattengeht, mit Zeitaufwand verbunden, den man sich (auch mit Blick auf die ggf. blockierten Anpassungsverhandlungen) schlichtweg „nicht leisten kann“. Das gilt umso mehr, da ein eingelegter Widerspruch nicht (unmittelbar) den existierenden Titel beseitigt.

Als probates Mittel steht für solche Fälle zur Risikominimierung die sog. „Schutzschrift“ zur Verfügung. Dabei handelt es sich um einen vorbeugenden Verteidigungsschriftsatz gegen den Erlass einer einstweiligen Verfügung, der mit geringem Aufwand beim Schutzschriftenregister eingereicht werden kann. Schutzschriften müssen Gerichte vor ihrer Entscheidung auch bei besonderer Dringlichkeit berücksichtigen. So kann mindestens sichergestellt werden, dass die eigenen Argumente und insbesondere auch die eigene Sachverhaltsschilderung Berücksichtigung finden.


Lietz: So weit sollte es ja möglichst nicht kommen. Was raten Sie aktuell Unternehmen, die Nachverhandlungen mit ihren Kunden erwägen?


Wuhrmann:
Die erste Regel lautet: Bereitet Euch gut vor. Die Kunden erwarten, dass ihre Lieferanten in allen relevanten Punkten erläutern und darlegen können, woher Preissteigerungen kommen und welche Möglichkeiten der Reduktion bestehen. Das kann auf Teilebene schon mal sehr ins Detail gehen. Je besser man selbst im Thema ist, Zahlen, Daten und Fakten vorlegen kann und Potentiale aufzeigt, desto höher sind die Chancen, mit den Kunden eine Lösung zu finden. Darüber hinaus sollte man sich aber auch klar über die vertragliche Lage sein: welche Pflichten habe ich, welche Rechte. Was sagt das Gesetz?

Bei Konflikten im Rahmen von Nachverhandlungen sollten Zulieferer auf ihre Kommunikation achten und sich vertragstreu verhalten. Sollte der Verdacht aufkommen, der Kunde könne ein einstweiliges Verfügungsverfahren anstreben, empfiehlt sich die Einreichung einer Schutzschrift. Ein Anlass für einen solchen Verdacht kann beispielsweise in der Ankündigung eines entsprechenden Antrages oder aber bereits bei mehrfacher Bitte an den Zulieferer, sich zur Lieferverpflichtung zu äußern, gesehen werden. Mittels einer eingereichten Schutzschrift lässt sich verhindern, dass ein vollstreckbarer Titel die eigene Verhandlungsposition schwächt, ohne dass das Gericht die eigenen Argumente überhaupt zur Kenntnis nimmt.


Lietz: Vielen Dank, Herr Wuhrmann für diese wichtigen Hinweise!