Der Begriff der „Lieferkette“ nach dem LkSG (Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz) ist sehr weitreichend. Grund genug, einmal genauer hinzuschauen, in welche Bereiche die neuen Sorgfaltspflichten künftig reichen könnten.
Noch ist das LkSG nicht in Kraft. Erst ab 2023 müssen Unternehmen ab 3.000 Arbeitnehmern dessen Pflichten erfüllen, ab 2024 werden auch Unternehmen ab 1.000 Mitarbeitern erfasst.
Da die Einhaltung der Pflichten von den Unternehmen aber in den meisten Fällen nicht ad hoc, sondern nur mit ausreichendem Vorlauf zu bewerkstelligen ist, insbesondere zwecks Einordnung und Bewertung der beim Unternehmen bestehenden Lieferkettensachverhalte, werden wir uns bereits in diesem Jahr einige für unsere Mandanten besonders relevante Punkte genauer anschauen.
– Betrachtung des Lebenszyklus vor dem Recycling bei Sekundärrohstoffen:
In der Praxis wurde bereits die Frage aufgeworfen, wie weit die Pflichten des LkSG reichen, wenn ein Unternehmen Rezyklate zur Herstellung von Produkten einsetzt. Dies können bspw. Glasbruch aus Altglas, Aluminiumschrott, Altpapier oder Alt-Textilien sein.
Nach dem Wortlaut des § 2 Abs. 5 LkSG gilt folgendes: Die Lieferkette „bezieht sich auf alle Produkte und Dienstleistungen eines Unternehmens“. Sie „umfasst alle Schritte im In- und Ausland, die zur Herstellung der Produkte und zur Erbringung der Dienstleistungen erforderlich sind, angefangen von der Gewinnung von Rohstoffen bis zu der Lieferung an einen Endkunden“. Die Gesetzesbegründung, BT-Drs. 19/28649, besagt insoweit: „Erfasst wird dabei auch die Inanspruchnahme von Dienstleistungen, die erforderlich für die Produkterstellung ist, wie zum Beispiel der Transport oder die Zwischenlagerung von Waren. Zu der Erbringung einer Dienstleistung gehört auch jede Form von Finanzdienstleistung.“ Es ist also auszugehen, dass alles in den gesetzlich definierten Bereich der Lieferkette fällt, was entweder Bestandteil des Endproduktes wird oder im Herstellungsprozess eine Rolle spielt.
Werden Rohstoffe eingesetzt, die durch die Sammlung von Abfällen bzw. Schrott gewonnen werden, gilt grundsätzlich keine Bereichsausnahme. Das bedeutet: nach dem reinen Wortlaut des Gesetzes müssten die Sorgfaltspflichten also auch bis zum Ursprungsrohstoff – also z.B. bis zur Gewinnung des dann später als Schrott aufgekauften Aluminiums – reichen. Dies wird aber in der Regel praktisch nicht machbar sein.
Eine geeignete Grenze findet sich zwar nicht im Rahmen der Definition der Lieferkette, aber bei der Bestimmung der Sorgfaltspflicht. Geeignet ist hier ein Rückgriff auf § 3 Abs. 2 Nr. 2 LkSG (dem „Einflussvermögen des Unternehmens“). Hierzu ist auch in der Ausschussempfehlung BT-Drs. 19/30505 zu lesen: „Klar ist dabei: von keinem Unternehmen darf etwas rechtlich und tatsächlich Unmögliches verlangt werden. […] Faktisch Unmögliches heißt etwa, dass ein Unternehmen aufgrund fehlender Einflussmöglichkeit (vgl. § 3 Absatz 2 Nummer 2) an seine Grenze stößt. Ein Beispiel ist, dass ein Unternehmen – trotz angemessenen Bemühens – den Ursprung eines in seinem Produkt verarbeiteten Rohstoffs nicht zurückverfolgen kann, etwa, weil der Rohstoff nur über internationale Rohstoffbörsen bezogen werden konnte.“
Aber die Ausschussempfehlung stellt auch gleich klar, dass dies kein Freibrief sein soll: Besteht die Möglichkeit, auch diesen Teil der Lieferkette zu erfassen, muss dies auch erfolgen: „Ein pauschaler Ausschluss der Rückverfolgbarkeit von Rohstofflieferketten wäre jedoch vor dem Hintergrund sich stets weiter entwickelnder technischer, insbesondere computergestützter Möglichkeiten (z. B. der Einsatz von Blockchain-Technologie) verfehlt.“
Im Ergebnis wird daher in vielen Konstellationen bei dem Einsatz von Sekundärrohstoffen bzw. Rezyklaten bei den Sorgfaltspflichten eine Grenze gezogen werden können, die erst beim Recyclingprozess beginnt. Insoweit kann hier eine Anlehnung an Art. 7 Abs. 4 der KonfliktmineralienVO in Betracht gezogen werden.
– Betrachtung der Klimaschädlichkeit von Tätigkeiten, z.B. im Rahmen der Produktion:
Ähnliche Fragen wie hinsichtlich Sekundärrohstoffen werden sich zukünftig auch im Hinblick auf Klimarisiken stellen. Diese sind zwar aktuell noch nicht Gegenstand des deutschen Lieferkettengesetzes. Das EU-Parlament hat allerdings bereits im März 2021 einen Regelungsvorschlag vorgelegt, der deutlich weiter geht, als das deutsche Lieferkettengesetz. Insbesondere sollen dort deutlich mehr Umweltrisiken, wie bspw. Klimarisiken, erfasst sein. Dieser Regelungsvorschlag spricht zudem von Ansprüchen Privater sowie von Importverboten bei Produkten aus Zwangsarbeit und soll auch kleine Unternehmen erfassen können.
Ein daraus folgender Richtlinienvorschlag – zunächst für Mitte 2021 angekündigt – verzögert sich aktuell, da die Federführung für diese Gesetzesinitiative neu aufgeteilt wurde. Darüber hinaus wurde die Kommission vom Ausschuss für Normenkontrolle zu Nachbesserungen aufgefordert.
Sollten sich jedoch so weit reichende Lieferkettenpflichten mit Bezug auf sämtliche Klimarisiken künftig realisieren, werden wir uns vielleicht auch fragen müssen: Wird die Lieferkettenregulierung künftig auch Einfluss nehmen auf das Energieversorgungskonzept von Industrieunternehmen, ihrer Zulieferer und Dienstleister?
Wir werden die Entwicklungen rund um die Pflichten nach dem Lieferkettengesetz und die entsprechende EU-Gesetzgebung für Sie weiterverfolgen.
Autorin: Dr. Franziska Lietz