RGC fragt nach: Netzentgeltoptimierung mit Stromspeichern: Sechs Fragen an Paul Hendrik Tiemann
RGC: Herr Tiemann, für Ihre Masterarbeit haben Sie den Helmut-Schaefer-Preis der Forschungsstelle für Energiewirtschaft gewonnen. Dazu erst einmal herzlichen Glückwunsch! Was war Ihr Forschungsgegenstand?
Mittels eines Werkzeugs vom Institut für Elektrische Energiesysteme habe ich Lastgangdaten von über 5.300 Unternehmensstandorten ausgewertet und berechnet, mit welcher Kapazität und Leistung ein elektrischer Energiespeichereinsatz dort bereits heute wirtschaftlich sein kann.
Insgesamt wurden drei Fälle zur Netzentgeltreduktion untersucht: die Spitzenlastkappung für ein Reduzieren des allgemeinen Netzentgeltes sowie ein Erreichen eines der beiden individuellen Netzentgelte nach § 19 Abs. 2 StromNEV (intensive und atypische Netznutzung). Bei der Spitzenlastkappung und der intensiven Netznutzung werden die Speicher dabei für ein Begrenzen der maximalen Netzbezugslast im gesamten Kalenderjahr dimensioniert, während bei der atypischen Netznutzung lediglich Lastspitzen innerhalb der sog. Hochlastzeitfenster verringert werden.
Dabei war es eine Herausforderung, mit der sehr großen Datenmenge umzugehen. Die Zusammenhänge mussten verstanden und im Anschluss die Ergebnisse nachvollziehbar visualisiert werden.
Am Ende konnte ich nachweisen, für welche Betriebe unter Berücksichtigung der unternehmens-individuellen Leistungspreise ein Speicher bereits heute wirtschaftlich sein kann und welche Speicherkapazitäten und -leistungen dafür erforderlich sind. Außerdem habe ich die Faktoren und deren Einfluss auf die resultierende Wirtschaftlichkeit untersucht.
RGC: Können Sie auf Grundlage Ihrer Forschungsergebnisse sagen, dass es für Unternehmen interessant ist, Speicher zur Netzentgeltoptimierung einzusetzen?
Ein Ergebnis der Arbeit war, dass ein Energiespeichereinsatz im hohen Maße wirtschaftlich sein kann. Es wurde das Potenzial für kurze Amortisationszeiten untersucht. Dabei haben sich bei beiden individuellen Netzentgelten zum Teil theoretisch mögliche Amortisationszeiten von unter drei und sogar unter einem Jahr ergeben.
Interessant ist dabei für Unternehmen, dass der Speicher ihren Energiebezug verändert, ohne dass in Produktionsprozesse eingegriffen werden muss.
RGC: Für welche Unternehmen ist diese Art des Speichereinsatzes besonders attraktiv?
Die heißesten Kandidaten für eine Investition in einen Energiespeicher mit kurzer Amortisationszeit sind solche Unternehmen, die durch herkömmliche Maßnahmen zur Spitzenlastbegrenzung, wie z.B. einer Leistungssteuerung, die Anforderungen für ein individuelles Netzentgelt mit nicht allzu großem Abstand verfehlen. Ein vergleichsweise kleiner Speicher könnte hier eingesetzt werden und das Netzentgelt erheblich verringern. Darüber hinaus begünstigt selbstverständlich ein hoher Leistungspreis die Wirtschaftlichkeit, ist aber als alleiniges Kriterium ungeeignet, um diese zu bewerten. Zu guter Letzt kommt es einer Investition in einen Speicher entgegen, wenn mit den zu reduzierenden Leistungsspitzen nicht übermäßig viel Energiebezug zeitlich verschoben werden muss. Um diese Energie aufzunehmen, müsste nämlich die Speicherkapazität größer dimensioniert werden. Da diese zusätzliche Kapazität keinen Beitrag zur Leistungs- und damit zur weiteren Entgeltreduktion liefert, verschlechtert sie die Wirtschaftlichkeit. In diesem Zusammenhang ist auch die spezifische Kapazität der einzusetzenden Speichertechnologie zu beachten. Sie ist ein Maß dafür, in welcher Zeit ein leerer Speicher geladen oder ein voller Speicher entladen werden kann.
RGC: Wie sollten Unternehmen vorgehen, wenn sie in die Planung von Speichern zur Netzentgeltoptimierung einsteigen möchten?
Am Anfang eines Energiespeicherprojekts steht immer eine Entscheidung, welche(r) von den drei genannten Ansätzen zur Netzentgeltreduktion verfolgt werden soll. Für diese(n) sollte eine Speicherdimensionierung inklusive einer Wirtschaftlichkeitsberechnung durchgeführt werden. Dabei ist ein Berücksichtigen der individuellen Lastgangdaten unbedingt zu empfehlen. Das Ganze kann dabei im Rahmen einer Beratung durch das Institut für Elektrische Energiesysteme, Fachgebiet Energiespeicher, und alternativ durch Unterstützung des VEA erfolgen. Firmen, die am Markt Energiespeicher verkaufen, bieten diese Leistung ebenfalls an.
Ferner ist es zu empfehlen, sich vor der Investition in einen Speicher mit den mit einem Betrieb verbundenen regulatorischen Pflichten auseinanderzusetzen.
RGC: Welche Risiken bestehen bei derartigen Projekten?
Die wissenschaftlichen Untersuchungen der Studie unterliegen einigen Annahmen, die in einem tatsächlich umzusetzenden Speicherprojekt nicht gelten müssen. Zur Dimensionierung der Energiespeicher sind wir von einer perfekten Prognose der gemessenen Leistungswerte ausgegangen. Damit wurde der kleinste sinnvolle Speicher ermittelt. Für die reale Umsetzung sollten Sicherheitsaufschläge einkalkuliert werden, was ggf. die Wirtschaftlichkeit reduziert.
Daneben ist die rechtliche Situation der individuellen Netzentgelte in den letzten Jahren immer wieder z.B. von der Bundesnetzagentur angegriffen worden. Bisher gelten die Regelungen allerdings noch. Für langfristige Investitionen in diesem Bereich ergibt sich jedoch ein gewisses Risiko, dass sich der regulatorische Rahmen ändert.
Außerdem sind Energiespeicher nach aktuellem Recht häufig als Eigenerzeugungsanlagen zu verstehen – mit allen damit verbundenen Pflichten und Risiken. Welche Änderung hier das im Eckpunktepapier zum Klimaschutzgesetz angekündigte Vorhaben, Energiespeicher nur noch als Letztverbraucher zu verstehen, haben wird, wird zu sehen sein.
RGC: Und zuletzt ein Blick in die Glaskugel: Handelt es sich um ein zukunftsfähiges Konzept mit einem breiten Anwendungsspektrum oder wird die Netzentgeltreduktion mittels Speicher eine Nischenanwendung bleiben?
Die Technik wird im Feld bereits eingesetzt. Bisher höre ich grundsätzlich positive Rückmeldungen von Firmenvertretern, bei denen Energiespeicher bereits im Einsatz sind. Zwar kann es sein, dass die individuellen Netzentgelte vom Gesetzgeber gekippt werden oder sich die Netzentgeltsystematik generell ändert. In jedem Fall wird aber in einem elektrischen Energiesystem mit einer hohen Durchdringung von dezentralen Erzeugungsanlagen die Flexibilität gebraucht, die ein Energiespeicher von sich aus mitbringt. Daher bin ich mir sicher, dass es weiterhin Anreize geben wird, die einen Speicher refinanzieren – sei es innerhalb einer neuen Netzentgeltsystematik oder z.B. durch dezentrale Flexibilitätsmärkte.
Lieber Herr Tiemann, herzlichen Dank für das Interview!