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Wegen Nicht-Umsetzung der EU-Whistleblowing-Richtlinie droht Deutschland jetzt ein Vertragsverletzungsverfahren

Zum 17.12.2021 ist die Umsetzungsfrist für die EU-Whistleblowing-Richtlinie abgelaufen. Sämtliche Mitgliedstaaten (mit Ausnahme von Dänemark) haben eine fristgerechte Umsetzung bislang versäumt. So auch Deutschland. Damit findet die Whistleblowing-Richtlinie jetzt zunächst unmittelbare Anwendung für Unternehmen mit mehr als 50 Mitarbeitern sowie auch kleinere Unternehmen aus den Branchen Finanzdienstleistung, Verkehrssicherheit und Umweltschutz (RGC berichtete). Für diese Unternehmen besteht damit jetzt direkter Handlungsbedarf.

Die Whistleblowing-Richtlinie betrifft neben anderen Gegenständen auch eine Reihe von Rechtsakten in den Gebieten Umweltschutz, Strahlenschutz und kerntechnische Sicherheit sowie Lebensmittel- und Futtermittelsicherheit, Tiergesundheit und Tierschutz, vgl. Art. 2 der Whistleblower-Richtlinie, z.B. die MCP-Richtlinie (in Deutschland umgesetzt durch die 44. BImSchV für Feuerungsanlagen zwischen 1-50 MW), das PRTR-Gesetz, REACH und EU-ETS.

Im Rahmen der Vertragsverletzungsverfolgung seitens der EU hat Deutschland ein Aufforderungsschreiben erhalten, in dem die EU-Kommission eine Art Anhörung vornimmt. Deutschland als umsetzungsverpflichteter Mitgliedstaat wird darin zu den Gründen für die Nichtumsetzung befragt und muss eine ausführliche Stellungnahme übermitteln. Im Anschluss wird die EU-Kommission entscheiden, ob weitere Schritte erforderlich werden, damit der Umsetzung des EU-Rechts Genüge getan wird. Dies könnte dann in Form einer förmlichen Aufforderung an Deutschland erfolgen. Diese Umstände – und vor allem die prompte Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens – zeigen, dass die EU die Umsetzung der Richtlinie und das Thema Hinweisgebung und Hinweisgeberschutz ernst nimmt.

Wir werden für Sie weiterverfolgen, wie die Reaktion Deutschlands ausfällt. Da bereits im Koalitionsvertrag die Umsetzung eines entsprechenden Gesetzes angekündigt wurde, ist vorstellbar, dass nun mit Hochdruck ein Gesetzgebungsverfahren in Angriff genommen wird.

Autorin: Dr. Franziska Lietz

Weil der deutsche Gesetzgeber die Umsetzung der EU-Whistleblower-Richtlinie bislang versäumt hat, gilt diese seit Ende Dezember 2021 nunmehr unmittelbar. Was das mit Energie-, Umwelt- und Klimarecht zu tun hat, erklären wir im Artikel.

EU-Richtlinien richten sich grundsätzlich nur an die Mitgliedstaaten, die diese dann in eigenständige, nationale Gesetze umsetzen müssen, bei denen ihnen grundsätzlich ein großer Umsetzungsspielraum, begrenzt von Mindestanforderungen der Richtlinie, zusteht. Schafft es ein Mitgliedstaat allerdings nicht, eine EU-Richtlinie innerhalb der Umsetzungsfrist in ein Gesetz zu gießen, dann ist die Richtlinie unmittelbar anwendbar, d.h. Bürger und Unternehmen in den Mitgliedstaaten können und müssen aus der Richtlinie nunmehr Rechte und Pflichten ableiten.

So geschehen auch bei der EU-Richtlinie zum Schutz von Hinweisgebern, sog. EU-Whistleblower-Richtlinie (RL (EU) 2019/1937): Am 17.12.2021 ist die zweijährige Umsetzungsfrist abgelaufen. Viele Unternehmen haben schon freiwillige Formen von Hinweisgebersystemen installiert. Aber seit dem 17.12.2021 sind Unternehmen nunmehr unmittelbar verpflichtet, die Vorgaben zum Schutz von sog. „Whistleblowern“ oder „Hinweisgebern“ aus der EU-Richtlinie umzusetzen.

Wer ist betroffen?

Die Pflichten aus der Richtline bestehen im Grundsatz nur für Unternehmen mit mehr als 50 Mitarbeitern. Für Unternehmen aus den Branchen Finanzdienstleistung, Verkehrssicherheit und Umweltschutz besteht die Pflicht jedoch für alle Unternehmen, unabhängig von der Mitarbeiterzahl. Kleinere Unternehmen zwischen 50 und 249 Beschäftigten haben bei der Umsetzung übrigens etwas mehr Zeit: Für sie gilt eine Übergangsfrist bis zum 17.12.2023.

Aus der Richtlinie ist übrigens nicht ganz eindeutig ersichtlich, ob es ausreicht, einen Meldekanal für alle Unternehmen eines Konzerns vorzuweisen, oder ob jede Konzerngesellschaft eine eigene Einrichtung bedarf. Dies bspw. hätte Gegenstand der Konkretisierung durch den deutschen Gesetzgeber sein sollen.

Was genau ist zu tun?

Die Richtlinie sieht u. a. vor, dass Meldekanäle und Verfahren für Meldungen zu Rechtsverstößen eingerichtet werden müssen. Es sind hierbei Prozesse für interne und externe Meldungen vorgesehen und auch bereits im Rahmen der Richtlinie relativ tiefgehend ausgestaltet geregelt.

Im Rahmen der internen Meldung muss zunächst ein den Richtlinienanforderungen genügender Meldekanal im Unternehmen zur Verfügung gestellt werden, damit ein Hinweisgeber z.B. telefonisch oder schriftlich melden kann. Diese Meldung ist sodann intern durch eine unparteiische Person oder Abteilung zu prüfen. Zuerst ist eine Plausibilitätsprüfung vorzunehmen. So sollen Bagatellen und leicht zu klärende Vorwürfe herausgefiltert werden. Wenn die Vorwürfe fortbestehen, ist eine interne Untersuchung durchzuführen. Es muss zudem sichergestellt werden, dass der Hinweisgeber innerhalb von drei Monaten Rückmeldung zu seinem Hinweis erhält.

Außerdem verpflichtet die Whistleblower-Richtlinie erstmals die Mitgliedstaaten dazu, dass Hinweisgeber neben einem internen Meldekanal auch einen externen behördlichen Kanal nutzen können. Bei diesem externen Meldekanal kann der Hinweisgeber seinen Hinweis auch dann äußern, wenn er den internen Meldekanal seines Unternehmens (noch) nicht genutzt hat. Auch seitens der Behörde muss wieder eine Plausibilitäts-/Stichhaltigkeitsprüfung stattfinden und – sollten sich die Hinweise erhärten – eine Untersuchung angestrengt werden.

Darüber hinaus sieht die Whistlelower-Richtlinie weitereichende Schutzvorschriften für Arbeitnehmer vor (sog. Verbot von „Vergeltungsmaßnahmen“), z.B. Kündigungsschutz und Verbot von sonstigen Maßnahmen, wie Beförderungsverweigerung oder Gehaltskürzung. Ebenfalls bedeutsam ist, dass die Vorgaben des (EU)-Datenschutzrechts auch im Rahmen des Hinweisgebersystems vom Arbeitgeber zwingend zu beachten sind.

Welche Verstöße sind betroffen?

Nach der Richtlinie sind zunächst einmal nur Hinweise zu Rechtsverstößen gegen bestimmte EU-Rechtsakte vom Hinweisgeberschutz umfasst. Aber dem deutschen Gesetzgeber steht es frei, in einem späteren Gesetz auch die Verletzung rein deutscher Regelungen ganz oder teilweise einzubeziehen. Dies war übrigens Hauptstreitpunkt, der letztlich zum Scheitern in der letzten Legislaturperiode geführt hat.

So erfasst die Richtlinie als einen Kernbereich auch gerade eine Reihe von Rechtsakten in den Gebieten Umweltschutz, Strahlenschutz und kerntechnische Sicherheit sowie Lebensmittel- und Futtermittelsicherheit, Tiergesundheit und Tierschutz, vgl. Art. 2 der Whistleblower-Richtlinie. In der Anlage sind bspw. genannt:

  • die EU-Vorschriften zu Emissionsnormen für PKW und Kraftstoffe (in Deutschland umgesetzt durch eine Reihe von Regelwerken, z.B. mehrere BImSchVen),
  • Umwelthaftungs- und Umweltschadensrichtlinien (in Deutschland umgesetzt durch das UmweltHG und das USchadG),
  • die sog. PRTR-Richtlinie für ein Schadstofffreisetzungs- und Verbringungsregister (in Deutschland geregelt im PRTR-Gesetz),
  • die FCKW-Verordnung (in Deutschland umgesetzt durch die Chemikalien-Ozonschicht-VO),
  • die MCP-Richtlinie (in Deutschland umgesetzt durch die 44. BImSchV),
  • die UVP-Richtlinie (in Deutschland umgesetzt durch das UVPG),
  • die REACH-Verordnung (direkt anwendbar in Deutschland, teilweise konkretisiert in deutschen Regelwerken, z.B. Chemikaliengesetz, Gefahrstoffverordnung),
  • die Regelungen über den EU-Emissionshandel (in Deutschland umgesetzt in diversen Rechtsakten, z.B. im TEHG),
  • die EU-Erneuerbare Energien Richtlinie,
  • die EU-Energieeffizienzrichtlinie

und etliche weitere.


Wie geht es (voraussichtlich) weiter?

Nachdem ein früherer Gesetzesvorschlag bis zum Ende der letzten Legislaturperiode nicht mehr verabschiedet werden konnte – auch weil die Anforderungen politisch sehr umstritten waren – ist zu erwarten, dass sich die neue Bundesregierung alsbald mit einem neuen Gesetzesentwurf zurückmeldet. Wir verfolgen die Rechtslage für Sie und berichten von interessanten weiteren Entwicklungen.

Bis dahin müssen Unternehmen die EU-Rechtslage gegen sich gelten lassen und die Vorgaben aus der Richtlinie insoweit umsetzen, dass die Arbeitgeberpflichten im Hinblick auf den Schutz von Hinweisgebern erfüllt sind.

Autorin: Dr. Franziska Lietz

Das Bundesarbeitsministerium überarbeitet die Biostoffverordnung. Der aktuelle Referentenentwurf sieht u.a. die Aufnahme des Begriffes „biologische Gefahrenlage“ und damit verbundene Maßnahmen vor, wodurch der Anwendungsbereich der Biostoffverordnung erweitert würde und für Unternehmen ein großer Mehraufwand im Bereich der Arbeitsschutzmaßnahmen droht.

Die Biostoffverordnung regelt den Schutz von Arbeitnehmern bei Tätigkeiten mit biologischen Arbeitsstoffen. Aufgrund der EU-Richtlinie 2000/54/EG muss sie geändert werden, um den Inhalt dieser Richtlinie in nationales Recht umzusetzen. Das Bundesarbeitsministerium nahm die Corona-Pandemie jedoch zum Anlass, noch weitergehende Änderungen vorzunehmen und „Defizite im Rechtssystem“ zu beseitigen. In dem aktuellen Referentenentwurf wurden u. a. der Begriff „biologische Gefahrenlage“ und damit verbundene „besondere Maßnahmen“ aufgenommen.

Ausweitung des Anwendungsbereichs
Nach der Definition des Referentenentwurfs umfassen „biologische Gefahrenlagen“ ein „ein natürlich ablaufendes Infektionsgeschehen in der Bevölkerung im Ausmaß einer Epidemie oder Pandemie, […]“. Danach wäre beispielsweise die jetzige Corona-Pandemie eine solche biologische Gefahrenlage. Sobald eine biologische Gefahrenlage vorliegt, ist in dem Referentenentwurf geplant, dass von den Arbeitgebern sogenannte „besondere Maßnahmen“ zu treffen sind.

Nach der bisherigen Rechtslage ist die Biostoffverordnung grundsätzlich nur bei direktem Umgang mit Biostoffen anzuwenden. Das besondere an den geplanten „besonderen Maßnahmen“ im Falle einer biologischen Gefahrenlage ist, dass danach auch für Tätigkeiten ohne direkten Umgang mit Biostoffen die Biostoffverordnung anzuwenden ist und Maßnahmen durch den Arbeitgeber zu treffen sind.

Mehraufwand für bisher nicht betroffene Branchen und Unternehmen
Durch die geplanten Neuregelungen ist zu erwarten, dass für eine Vielzahl von Branchen und Unternehmen, die bisher nicht in den Anwendungsbereich der Biostoffverordnung fallen und sich mit den Regelungen nicht auskennen, ein erheblicher Mehraufwand anfiele. Durch die Neuregelungen wird festgelegt, welche Vorschriften der Biostoffverordnung Anwendung finden: Im Fall biologischer Gefahrenlagen ist die Gefährdungsbeurteilung immer zu aktualisieren. Dies gilt auch für Arbeitgeber, deren Beschäftigte keine Tätigkeiten nach Biostoffverordnung ausüben. Arbeitgeber müssen außerdem Schutzmaßnahmen festlegen, eine Betriebsanweisung erstellen und die Beschäftigten unterweisen.

Nach Auffassung des Bundesarbeitsministeriums bietet sich die Biostoffverordnung an, um „Defizite im Rechtssystem“ zu beseitigen, die sich nach Ausbruch der Corona-Pandemie gezeigt haben, da diese auch den Schutz von Beschäftigten vor Infektionen als Ziel hat. Das Ziel des Bundesarbeitsministeriums, Beschäftigte vor Infektionen durch Arbeitsschutzmaßnahmen zu schützen, ist richtig und wichtig. Ob die Ausweitung des Anwendungsbereiches auf alle Arbeitsbereiche zielführend ist, obwohl die Gefährdung dort nicht höher ist als für die Allgemeinbevölkerung, bleibt jedoch zweifelhaft. Mehrere Verbände haben in einer Stellungnahme zu dem Gesetzesentwurf bezweifelt, dass die zusätzlichen Regelungen bei Vorliegen einer biologischen Gefahrenlage tatsächlich einen Mehrwert für den Arbeitsschutz brächten, da zu befürchten sei, dass die Arbeitsschutzregeln durch die Änderungen noch unübersichtlicher werden. Es ist zu erwarten, dass noch Anpassungen an dem Gesetzesentwurf vorgenommen werden. Wir halten Sie über die weiteren Änderungen im Gesetzgebungsverfahren auf dem Laufenden.